Eine lustige Gaunergeschichte von Paul Bliß (Berlin)
in: „Düna-Zeitung” vom 26.05.1901,
in: „Abendblatt” (Chicago) vom 24.01,1899
Auf schiefer BahnEine lustige Gaunergeschichte von Paul Bliß (Berlin) Es giebt ein altes Sprichwort: „Man kann wohl im ganzen Jahre Geld haben, aber nicht an jedem Tage.” So erging es auch Fritz Behrend. Er war ein sehr intelligenter junger Mann, der zwar keine große Freude an der Arbeit fand, dennoch aber stets herrlich und in Freuden lebt — nicht etwa, weil er wohlhabend und begütert war, nein, weil er das Gute da nahm, wo er es fand. Der gute Fritz war ein Philosoph. Er sagte sich, wenn er einen reichen Mann sah: Dieser Mensch hat hundertmal so viel, als er verbrauchen kann; — ich aber habe momentan garnichts, — ergo nehme ich von dem, was der Reiche zu viel hat, um mir, der ich auch das Recht zu leben habe, damit zu helfen. Daß der gute Fritz damit gegen das Gesetz verstieß, war ihm gleichgiltig. Er pflegte sich zu trösten, indem er sagte: das Gesetz ist auch nur von Menschen gemacht; und wir Menschen sind alle dem Irrthum unterworfen; übrigens gilt im Leben immer nur ein Gesetz und das heißt — laß Dich nicht erwischen! Nach diesen Grundsätzen regelte Fritz Behrend sein Leben. Und da er bisher bei seinen „Unternehmungen” stets sehr schlau zu Werke gegangen war und das Glück gehabt hatte, nicht erwischt zu werden, so konnte er wirklich recht zufrieden sein, denn seine „Einnahmen” waren bisher reichlich genug gewesen. Dennoch aber war er jetzt auf dem Trockenen. Er hatte viel Geld ausgegeben und zu einem lohnenden „Unternehmen” bot sich jetzt gar keine Gelegenheit. Als er so durch die Straßen schlenderte, flog ihm plötzlich ein sehr appetitlicher Geruch aus einem vornehmen Restaurant zu und sofort meldete sich auch sein Magen, der seit 24 Stunden ohne nennenswerthe Nahrung war. Aber was thun? Er besaß ja keine Mark mehr! und so ein Mittagessen in dem vornehmen Restaurant kostete doch mindestens zwei bis drei Mark. Plötzlich kam er auf eine Idee, die ihm werth schien, verwirklicht zu werden. Zunächst trat er vor eines der großen Schaufenster, in dessen Spiegelwänden er sich davon überzeugte, daß sein Aussehen tadellos war. Alsdann machte er ein sehr unternehmendes Gesicht, sprach das erste hübsche und gut angezogene Mädchen mit einem sehr höflichen Gruß an, und begann eine Unterhaltung mit ihr, die damit endete, daß er sie einlud, mit ihm zusammen Mittag zu speisen. Das Fräulein, ein echtes flottes Großstadtmädchen, wie man sie in der Berliner Friedrichsstraße und auch anderswo findet, besann sich natürlich nicht lange und sagte zu. Fritz gab sich einen Ruck, spielte den schneidigen Cavalier, bot dem hübschen Fräulein seinen Arm, und so führte er die Kleine in eben dasselbe vornehme Restaurant, aus dessen Fenstern der leckere Geruch seinen Appetit rege gemacht hatte. Als das Paar, selbstbewußt und sicher, eintrat, sprang sofort ein Kellner hinzu, wies ihnen einen freien Platz an und war Beiden beim Ablegen der Mäntel behilflich. Fritz bestellte alsdann zwei Diners und eine Flasche Rothwein, und zwar mit solcher Noblesse, daß der Kellner Respect bekam und sich mit einem devoten Bückling empfahl. Fünf Minuten später schmeckte es Beiden vortrefflich — sie aßen und tranken mit herrlichem Appetit, und unterhielten sich so gut, als seien sie alte Freunde. Nach dem Diner tranken sie natürlich auch Mocca, und Fritz rauchte eine Importirte, während die Kleine lustig eine dicke Egypter dampfte. Plötzlich fragte Fritz den Kellner, ob er wohl mal das Telephon benutzen dürfe, was ihm selbstverständlich sofort gestattet wurde. „Ich will nämlich nur mal im Hotel nachfragen, ob mein Onkel, den ich erwarte, schon angekommen ist; — also einen Augenblick, bitte!” und damit nickte Fritz seiner Begleiterin zu und verschwand in dem Telephon-Cabinet. Schon nach wenigen Minuten war er wieder zurück. „Noch ist er nicht da,” sagte er lächelnd zu der Kleinen, „aber er dürfte jeden Augenblick ankommen, denn der Zug läuft um 3 Uhr im Centralbahnhof ein und jetzt ist es fünf Minuten nach Drei: Ich habe übrigens im Hotel Bescheid gegeben, wo ich bin, damit sich mein Onkel gleich orientiren kann. Natürlich warten wir hier, bis er kommt. Er ist nämlich ein sehr fideler alter Junggeselle, der alles mitmacht, wenn er nach Berlin kommt und der immer eine sehr gefüllte Brieftasche hat — was ja eigentlich gar kein Fehler ist, nicht wahr?” Lächelnd erwiderte die Kleine: „Gewiß nicht! ich bin sehr gespannt, den alten Herrn kennen zu lernen.” So tranken und scherzten sie weiter, als plötzlich der Kellner an den Tisch trat. „Verzeihung,” sprach er, „hab' ich wohl die Ehre, mit Herrn Doctor Sehwald? — am Telephon verlangt man nämlich einen Herrn dieses Namens.” „Bin ich,” antwortete Fritz schnell, nickte dann der Kleinen zu, indem er ziemlich laut sagte: „Nachricht vom Hotel; gewiß ist der Onkel jetzt da; — einen Augenblick bitte!” — und dann verschwand er wieder in dem Cabinet des Telephons. Gleich darauf war er wieder da und verkündete mit froher und lebhafter Stimme: „Der Onkel ist jetzt da, natürlich will er herkommen — hat auch einen riesigen Appetit, und freut sich auf die neue Bekanntschaft! — aber nun müssen Sie mich bitte mal fünf Minuten entschuldigen, liebes Fräulein, denn ich muß den alten Herrn abholen: er hat nämlich — wie er mir eben sagte — sein Podagra bekommen, und da geht oder fährt er nicht gern allein aus. Also bitte, nur fünf Minuten höchstens, dann bin ich wieder mit Onkelchen hier!” — und dann rief er den Kellner heran, zu dem er mit vornehmer Herablassung sagte: „Bitte, legen Sie hier noch ein Gedeck auf und lassen Sie noch eine Flasche gut temperiren;” — dabei stand er auf, legte zwei Stühle um. langte nach seinem Paletot und rief der Kleinen noch einmal lächelnd zu: „Also höchstens fünf Minuten! Gute Unterhaltung inzwischen!” wobei er ihr ein Witzblatt herüberreichte und dann verschwand. Das alles ging so schnell von Statten und wurde alles in so selbstverständlicher Art gemacht, daß auch nicht Einer der Zurückbleibenden zu widersprechen wagte. Und nun vergingen fünf Minuten, dann zehn, dann fünfzehn, dann zwanzig, dann eine halbe Stunde — aber der Herr „Doctor Sehwald” kam nicht wieder. Dem kleinen Fräulein wurde immer unheimlicher zu Muthe, denn schon sah sie, wie die Kellner alle nach einander um sie herumschlichen und zu tuscheln begannen. Endlich trat der sie bedienende Kellner heran und fragte sehr höflich: „Befehlen Sie vielleicht, meine Dame, daß wir den Herrn Doctor telephonisch rufen?” „Ach ja, bitte sehr,” antwortete sie mit leichter Verlegenheit. „Bitte, wollen Sie mir dann die Wohnung des Herrn Doctors nennen.” Nun erröthete die Kleine und sagte leise: „Ja, die weiß ich auch nicht.” Der Kellner schmunzelte heimlich, nahm sich aber zusammen und ging. Und wieder verrann eine Viertelstunde, die der Kleinen eine Ewigkeit zu sein schien, und noch immer ließ der Galan nichts von sich hören. Da trat ein älterer Herr an den Tisch, stellte sich als den Geschäftsführer vor und fragte höflich: „Wie ich von dem Kellner höre, meine Dame, wissen Sie die Adresse des Herrn nicht?” „Nein, ich kenne ihn nicht; ich habe erst vor einer Stunde seine Bekanntschaft gemacht,” sagte sie erröthend und in angstvoller Verlegenheit. „Nun, ich glaube, daß Sie da einem sehr gewiegten Zechpreller in die Hände gefallen sind.” Der Kleinen, so leichtsinnig sie auch war, traten die Thränen in die Augen. Der Geschäftsführer sah wohl ein, daß sie nichts von dem Streich ihres Galans geahnt hatte, und er fragte höflich und leise: „Wünschen Sie die Rechnung zu begleichen, Fräulein? Sie beträgt 12 Mark 50 Pfg.” Da antwortete sie unter Schluchzen: „Ich habe nur drei Mark bei mir, aber ich werde Ihnen meine Uhr hier lassen.” Und er, sehr höflich, um jeden Skandal zu vermeiden, und den anderen Gästen diesen Vorfall zu verheimlichen, sagte lächelnd: „Nein, lassen Sie nur; ich glaube Ihnen, daß Sie düpirt sind; aber lassen Sie sich dies zur Warnung dienen, und sehen Sie sich ein ander Mal Ihren Gastgeber etwas genauer an.” Damit reichte er ihr den Mantel, war ihr beim Anziehen behilflich und geleitete sie zur Thür hinaus. Und draußen athmete sie befreit auf, bestieg den ersten Omnibus und fuhr nach Hause. * * * Inzwischen war Fritz Behrend eine Stunde im Thiergarten spazieren gegangen und freute sich, daß ihm dies „Unternehmen&r5dquo; so überaus geglückt war, dann bedankte er sich bei seinem Cigarrenhändler, der ihm die telephonische Gefälligkeit erwiesen hatte, und dem er sagte, daß es sich um ein Rendezvous gehandelt habe — und dann sann er nun ganz ernsthaft darüber nach, auf welche Weise er mal wieder in den Besitz einer stattlichen Summe gelangen könnte. Als er eben so seinen Gedanken nachhing, rief ihn Jemand beim Namen, so daß er, fast erschrocken, aufsah, doch sein Schreck verschwand schnell, denn er erkannte einen alten Freund „vom Fach”, mit dem er schon manche „schwere Arbeit” geleistet hatte. „Na, wie geht's denn, Fritz?” rief der Andere. „Ach, ganz gut,” renommirte Fritz, „aber wenn's ein bischen besser wäre, könnt's nichts schaden! Die Leute halten alle zu sehr den Daumen auf's Portemonnaie — es ist nicht viel zu holen für unsereinen!” „Ja, das muß man eben schlau anfangen,” meinte der Andere pfiffig. Nun aber fühlte sich Fritz Behrend in seiner Gaunerehre gekränkt. „Was Du kannst, oller Sohn,” begann er grollend, „das kann ich schon lange! — Da habe ich zum Beispiel eben erst einen Fall gehabt, den mir so leicht keiner nachmacht!” „Aber so erzähl' doch erst, Mensch!” bat der Andere mit versteckt pfiffigem Lächeln. Und so erzählte dann Fritz sehr ausführlich die Heldenthat, die er soeben vollführt hatte. Schmunzelnd hörte der Andere zu, lächelte auch und meinte: „Oh, ganz nett.” Plötzlich aber winkte er einen Schutzmann heran und sagte kurz: „Nehmen Sie diesen Mann fest!” zog eine Metallmarke und legitimirte sich. „Was — was fällt Dir denn ein?” stotterte Fritz Behrend kreidebleich. Und der Andere lächelnd: „Ich bin nämlich jetzt Criminalbeamter” — sprang in eine Droschke und fuhr davon. Fritz murmelte einen Fluch, mußte sich aber Handschellen anlegen lassen und dann mit dem Schutzmann eine andere Droschke besteigen, die ihn zur nächsten Polizeiwache fuhr. So erreichte diesen auf schiefe Bahn gerathenen Menschen das Schicksal. |
Auf schiefer BahnEin Großstadtbild von Paul Bliß (Berlin) Es war eine schöne Sommernacht. Zwei Uhr mochte es wohl gewesen sein. Langsam ging ich durch den Thiergarten meiner Wohnung zu. Ich kam aus einer kleinen Gesellschaft. Ein Freund, ein bekannter Portraitmaler, feierte seinen Geburtstag und hatte sich einige Bekannte zur Bowle geladen. Wir waren alle Junggesellen, alle lustige und trinkfrohe Männer und so wurde denn das kleine Fest auch ausgelassen heiter. Gegen zwei Uhr erst trennten wir uins. Die schöne milde Nachtluft that mir außerordentlich wohl und mit Behagen sog ich den frischen Duft des jungen Grüns ein. Meine Müdigkeit war vorbei, der kleine Rausch war auch verflogen und jetzt fühlte ich mich köstlich wohl. Als ich meine Straße betrat, graute schon der Morgen. Die Milchwagen kamen aus den Vororten in die Stadt gefahren, Bäckerjungen und Zeitungsfrauen begegneten mir bereits, so daß ich mich heimlich schämte, als Müßiggänger erst jetzt heimzukommen, da Andere bereits ihr Tagewerk begannen. Ich war froh, daheim und all' den neugierigen Blicken entkommen zu sein. An Schlafen war nicht mehr zu denken. Ich zog mich also um, legte mich auf die Chaiselongue, die unmittelbar unter dem Fenster stand, dessen beide Flügel ich vorher weit öffnete, und wollte so träumend den Tag erwarten. Ungefähr eine halbe Stunde mochte so vergangen sein, als ich plötzlich leise Schritte vernehme im Kies meines Vorgartens, der mit zu meiner Parterrewohnung gehört. Zuerst glaube ich, geträumt zu haben, als ich aber mit Aufbietung aller Kräfte hinhorchte, höre ich ganz deutlich die leisen, schleichenden Schritte. Eben will ich auf, zu sehen, wer da sei, als die Schritte nicht mehr gehört werden. Dafür höre ich ebenso deutlich, wie Jemand das eiserne Gitter erklettert und zwischen den spitzen Stäben langsam weitersteigt. Ich greife zu meinem Revolver, plötzlich aber sehe ich über mir zum Fenster herein ein paar Beine baumeln. Im Nu greife ich danach, halte fest mit der Kraft der Angst und ziehe so den Kerl herunter, daß er auf die Chaiselongue purzelt. Jetzt werfe ich mich auf ihn und drücke ihm die Kehle zu. Alles das Werk eines Augenblicks. Der Gauner aber, mit überlegenem Lächeln, flüstert: „Guten Morgen!” Das kam mir so überraschend und dermaßen komisch vor, daß ich mitlächelte, ebenfalls „Guten Morgen!” sagte und ihn losließ. Sofort erhob er sich und sagte lächelnd: „Na, Sie sind doch wenigstens mal ein vernünftiger Mensch, immer leben und leben lassen — ein Anderer hätte mich vielleicht gewürgt.” Sprachlos musterte ich ihn. Seine mehr als defekte Kleidung war wenig vertrauenerweckend und unwillkürlich griff ich wieder zum Revolver. Doch wieder lächelte er und sagte: „Meinethalben brauchen Sie sich keine Mühe zu geben, ich gehe wieder so, wie ich gekommen bin. Stecken Sie nur die Knallbüchse getrost ein.” Noch immer weiß ich nicht, was ich von dem Kerl halten soll. Dann aber frage ich: „Was wollen Sie hier?” „Was kann ich wohl gewollt haben? Einbrechen wollte ich,” entgegnete er mit der größten Seelenruhe. „Nun wird man Sie einstecken.” „Meine Sorge!” sagte er ruhig, „wenigstens bekomme ich dann wieder etwas zu essen.” „Und warum wollten Sie einbrechen?” Finster sah er mich an „Weil ich Hunger hatte,” sagte er schroff. &bgdquo;Aber man hätte Sie doch leicht ertappen können; es ist ja bereits ganz hell draußen und jeden Augenblick kommt Jemand hier vorbei; ja es ist geradezu erstaunlich, daß man Ihr Einsteigen von draußen nicht bemerkt hat.” „Das wäre mir ganz schnuppe gewesen. Wenn man seit drei Tagen so gut wie nichts gegessen hat, ist man zu Allem fähig.” Der arme Kerl dauerte mich jetzt wirklich. In seiner ganzen Haltung war so viel Ernst, so viel Verachtung aller Gefahren, daß er in meinen Augen einen Zug von Größe bekam. „Wollen Sie etwas essen?” fragte ich. Erstaunt, fast ungläubig, starrte er mich einen Augenblick an, dfann antwortete er lächelnd: „Dann wäre wenigstens meine Mühe nicht ganz umsonst gewesen.” Ich zwang mich, ernst zu bleiben, winkte ihm, mir in das Nebenzimmer zu folgen, und dort setzte ich ihm Brod, Butter und etwas kaltes Fleisch vor. Mit einer wahren Gier aß er drauf los und kümmerte sich nicht im Geringsten um mich. Erst jetzt bemerkte ich, daß er ein intelligentes Gesicht hatte. Ich beonachtete ihn nun genauer. Er war vielleicht 23 Jahre alt, hatte schmale, fast weiblich zarte Hände und seine Art zu essen zeigte deutlich, daß er ehemals wohl in besseren Verhältnissen gelebt hatte. Sein Anzug war zwar sehr defekt, aber trotzdem ließ er doch erkennen, daß er aus gutem Stoff und nach der vorletzten Mode war. Dann goß ich ihm eine Flasche Bier ein. Er trank und meinte lächelnd: „Man ißt ganz gut bei Ihnen, mein Herr.” Auch ich mußte lächeln über seinen trockenen Witz. Aber gleich wieder war ich ernst und fragte: „Haben Sie denn keine Eltern oder Angehörige mehr?” Er verneinte. „Meinen Vater habe ich nie gekannt und meine Mutter ist vor fünf Jahren gestorben. Verwandte, die ich habe, wollen mit mir nichts zu thun haben.” „Aber warum arbeiten Sie denn nicht? Sie sind doch gesund und kräftig. Haben Sie denn kein Handwerk erlernt=” „Nein, ich wollte zur Bühne gehen. Aber ich habe kein Talent. Und seit meine Mutter todt ist, bin ich verbummelt.” „Aber was soll denn aus Ihnen werden? Sie sind noch so jung. Schämen Sie sich denn gar nicht, so zu verlottern?” Grinsend sah er mich an und sagte: „Sie gehören wohl zu dem Verein für Rettung Gefallener?” Ich machte ein böses Gesicht und wollte ihm eben eine Zurechtweisung geben, als er sofort abbittend einlenkte. „Entschuldigen Sie, daß ich Ihre Liebenswürdigkeit so schlecht lohne, aber ich kann mich nicht anders machen, als ich bin. Sie brauchten ja nur Lärm zu schlagen, dann wäre ich eingesteckt worden. Sie haben es nicht gethan. Gut, so sind Sie eben anders als die Anderen. Aber wenn Sie nun Ihr Liebeswerk krönen wollen,, dann geben Sie mir noch ein paar Groschen und dann lassen Sie mich laufen.” „Aber was soll denn aus Ihnen werden, Mensch, so versinken Sie ja ganz,” sagte ich entsetzt. „Ich gehe schon nicht unter, dafür brauchen Sie keine Sorge zu haben. Ich befinde mich jetzt nur vorübergehend in so desolaten Verhältnissen. Ich habe Pech gehabt. Ich spiele famos Billard. Und bei den Rennen wette ich auch. Wie gesagt, ich gehe schon nicht unter.” Nun, ich gab ihm also ein paar Mark, schenkte ihm auch noch einen Rock und dann ließ ich ihn durch den Eingang zum Hinterhaus fortgehen. „Nochmals besten Dank,” rief er, „und lassen Sie's sich gut gehen. Vielleicht sehen wir uns 'mal bei einer besseren Gelegenheit wieder” — dann ging er, stolz und aufrecht, als gehörte ihm halb Indien. Als ich auf meiner Chaiselongue lag und das ganze doch gewiß höchst eigenartige Erlebniß durchdachte, kam mir immer wieder der Gedanke, daß es im Grunde schade sei um den Burschen, in dem doch gewiß irgend ein Talent stecke. Vielleicht fand ich ihn einmal wieder. Dann wollte ich ihn 'mal ernsthaft stellen, daß er wieder auf gute Wege käme.. Nun, ich traf ihn bald daraufschon wieder. Aber wie! Er lag im Thiergarten, an einen Baum gelehnt, den rechten Fuß untergeschoben, so daß es aussah, als sei der Fuß invalid, denn eine Krücke lag auch dabei; über den Augen trug er eine große Brille mit dunkelblauen Gläsern und neben ihm stand eine große Blechbüchse für die Almosen; fortwährend bat er kläglich: „Bitte, ein armer Mann.” Da er noch meinen Rock trug, erkannte ich ihn sofort. Erstaunt trat ich heran und fragte, was ihm denn passirt sei. Wieder verzog er grinsend den Mund, wie ehedem, dann sah er sich spähend um, ob auch Niemand ihn hören könne. und sagte halblaut zu mir: „Das ist ja Alles nur Mumpitz, ich bin ja ganz gesund, aber es ist wirklich ein einträgliches Geschäft, die Leute fallen alle darauf hinein. Man muß eben sehen, wie man durch die Welt kommt.” Ich schwieg und ging weiter. Nun war ich kurirt. Dann, nach einem Jahre vielleicht, traf ich ihn wieder. Diesmal stand er vor dem Richter. Aber wieder war es ein ganz eigenartiger, fast ein genialer Streich, den er vollführt hatte. Er war in ein Kolonialwaarengeschäft gekommen, gerade um die Mittagszeit, als nur ein Verkäufer im Laden war, und hatte verlangt, daß man das Innere seines Hutes mit Syrup füllen solle. Es handle sich um eine Wette. Er hatte drei Mark dafür vorher bezahlt und so füllte der Verkäufer den Hut mit Syrup. Als dies geschehen war, nahm der Gauner den Hut in Empfang und im Nu stülpte er ihn auf den Kopf des Verkäufers, so daß dessen Gesicht von dem dickflüssigen klebrigen Syrup über und über bedeckt war. Mit einem kühnen Griff nahm der Gauner dann die Geldkassette und entfloh. Aber er hatte wieder Pech. Im selben Augenblick war ein anderer Käufer gekommen, der sofort die Sachlage überschaute, und so war der kühne Räuber festgehalten, dann ganz jämmerlich durchgebläut und hierauf der Polizei übergeben worden. So wurde er ins Gefängniß gesteckt und seitdem habe ich seine Spur verloren. |
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